Wann "familiärer Arbeitgeber" als Markenkern richtig schiefgeht.

„Wir sind wie eine Familie“ kommt immer wieder als das vermeintliche Kernargument, wenn wir im Prozess zur Entwicklung einer Employer Brand nachfragen, was denn den Arbeitgeber so einzigartig macht. Aber was genau heißt das eigentlich? Hier entstehen für den geneigten Interessenten oft mehr Fragen als Antworten. Wir bringen mal ein wenig Licht ins Dunkel und erklären, warum ein generischer „Familienstempel“ nichts in der Arbeitgebermarke zu suchen hat.

Eine Worthülse namens "Familie".

Was verbinden wir eigentlich mit dem Begriff „Familie“? Und hier entsteht schon das erste große Problem. Denn jeder wird, geprägt durch seine Erfahrungen und Wünsche, der Worthülse „Familie“ unterschiedliche Bedeutungen zuordnen. Der eine mag darin eine Umgebung sehen, in der es harmonisch und herzlich zugeht. Der andere sieht darin eher eine Verpflichtung, die weit über die üblichen Ansprüche eines Arbeitsvertrages hinaus geht. Aber was, wenn keine dieser Sichtweisen in der Realität zutrifft und dahinter eigentlich Werte wie Verlässlichkeit, Ehrlichkeit und Anstand stehen? So nämlich kommuniziert der Verband „Die Familienunternehmer e.V.“ und lädt damit „Familie“ noch einmal ganz anders auf.

Wir sind uns einig, dass wir grundsätzlich allen drei Sichtweisen zustimmen können, auch wenn es nicht der unseren entspricht, richtig? Die Aussage „familiärer Arbeitgeber“ ist einfach unpräzise und malt unweigerlich ein ganz spezielles Bild in den Augen des Betrachters. Aber nicht zwingend das, was der Wirklichkeit entspricht.

Warum das Arbeitsverhältnis eben kein Familienverhältnis ist.

Wir gehen nun aber noch einen Schritt weiter und stellen uns die Frage, ob der Vergleich eines Arbeitsverhältnisses, für das ein Vertrag die Rechte und Pflichten beider Seiten regelt, mit einem Familienverhältnis überhaupt erstrebenswert ist.

Die eigene Familie kann man sich nicht aussuchen.
Wir werden in sie hineingeboren und müssen uns mit der neugierigen Tante Berta oder dem merkwürdigen Cousin Markus arrangieren. Den nächsten Job wählt man dagegen in der Regel sehr umsichtig aus. Hier steht ein Bewerbungsprozess zwischen der "Jobfamilie" und dem nächsten "Familienmitglied". Beide Seiten müssen sich erst einmal beweisen, bevor sie sich zueinander bekennen.
Eine Familie hat man für immer.
Ein ganzes Arbeitsleben lang bei einem Arbeitgeber? Durchschnittlich 11 Jahre bleiben Arbeitnehmer in einem Unternehmen - je kleiner das Unternehmen, desto kürzer ist die Betriebszugehörigkeit. Jeder Vierte ist wechselbereit, wenn eine passende Alternative kommt, in der Generation Z ist es fast die Hälfte. Wir sprechen also maximal von einer Lebensabschnitts-Familie.
Familie steht für bedingungslose Liebe.
Einer Familie sagt man bedingungslose Liebe nach, aber ist das ein Wert, den sich beide Seiten einer Arbeits-Beziehung überhaupt auf die Fahne schreiben möchten? Wir bezweifeln das. Netflix sagt dazu:

“We model ourselves on being a professional sports team, not a family. A family is about unconditional love. A dream team is about pushing yourself to be the best possible teammate, caring intensely about your team, and knowing that you may not be on the team forever. Dream teams are about performance, not seniority or tenure. It is up to the manager to ensure that _every_ player is amazing at their position, plays effectively with others and is given new opportunities to develop. That’s how we keep winning the championship (entertaining the world). Unlike a sports team, as Netflix grows, the number of players also grows. We work to foster players from the development leagues so they can become the stars of tomorrow.”

Blut ist dicker als Wasser.
Eine Familie hält sprichwörtlich immer zusammen. Hier gibt es keine Kündigung, wenn es mal schwierig wird, man nicht performt oder auf gut Deutsch, wenn man mal richtig Scheiße gebaut hat. Wie sähe so eine Arbeitsbeziehung ohne Abgrenzung voneinander aus? Sicherlich nicht sehr gesund. Für beide Seiten.

Abgrenzung tut gut.

Schauen wir diesbezüglich mal auf die Generation Z, die jetzt in den Arbeitsmarkt drängt und so dringend benötigt wird, wird schnell klar, dass ein Wert, der den Arbeitnehmenden vermeintlich viel Zeit, Einsatz und absolute Loyalität abverlangt, nicht das Maß der Dinge sein kann. Sie wollen nämlich auch Zeit haben für ihre richtige Familie, für Freunde und Freizeit, für Hobbys – für ihr Privatleben. Bei den Worten „wir sind ein familiärer Arbeitgeber“ läuten in dieser Generation (und nicht nur da) häufig die Alarmglocken.

Es ist durchaus gesund, eine Grenze ziehen zu dürfen zwischen dem, was beruflich fordert und dem, was im privaten Umfeld beschäftigt. Nur so gelingt es, Kraft für den jeweils anderen Lebensteil zu sammeln.

Wir haben zu den Ansprüchen und Sichtweisen der Generation Z einen Artikel geschrieben - Ein Plädoyer für die Gen Z.

Und dennoch hat das Konzept „Familie“ im Arbeitsumfeld eine Berechtigung.

Am schlimmsten sind halbherzige, leichtfertige oder unbedachte Positionierungen, die sich auf den Kern „Familie“ berufen. Ganz selten ist solch eine thematische Positionierung aber tatsächlich gerechtfertigt. Dann nämlich, wenn der Arbeitgeber uns Cakes wirklich restlos davon überzeugt, dass alle a) dieselbe Vorstellung vom Begriff „Familie“ haben, sie b) dieselben Werte damit verbinden, c) das Familienthema inhaltlich tatsächlich viel wichtiger ist als alle anderen für die Marke relevanten Aspekte und d) gleichzeitig eine weitere thematische Aufladung zum Unternehmenspurpose stattfindet, die das Familienthema weitergehend differenziert.

Ein einziges Mal ist das einem unserer Kunden gelungen. Und hier sind wir den Weg mit wehenden Fahnen mitgegangen. In anderen Fällen waren andere Attraktivitätsfaktoren so viel wichtiger, dass „Familie“ am Ende nur noch „unter ferner liefen“ stattfand. Und die Kunden selbst waren davon spätestens nach der Markenpräsentation absolut überzeugt. Wenn sie erstmal die Bedeutung der anderen Positionierungsgründe erfasst haben, kommt ihnen die „Familie“ fast immer selbst wie eine leere Worthülse vor.

Fazit: Hinter den Vorhang blicken.

Arbeitgeber machen es sich häufig mit ihrer Employer Brand zu einfach und verwenden als Markenkern gern das Bild des „familiären Arbeitgebers“. Es geht halt auch recht schnell über die Lippen. Und in der Regel sind damit nur positive Intentionen verbunden. Das allein ist jedoch kein Abgrenzungsmerkmal und lässt viel zu viel Spielraum für unterschiedlichste Interpretationen.

Wir stellen oft fest, dass das Bild der „Familie“ einfach nur herhalten muss für eine Kultur, in der sie sich aufgehoben und anerkannt fühlen. Wir fragen also immer ganz konkret nach und blicken gemeinsam mit Mitarbeitenden hinter den Vorhang und finden so heraus, was wirklich hinter Begriffen wie „familiärer Arbeitgeber“, „Wir sind wie eine Familie.“ oder „Das ist meine zweite Familie.“ steckt. Und diese Erkenntnisse müssen kommuniziert werden, um Fehlinterpretationen zu vermeiden und dem Arbeitgeber ein viel greifbareres und eindeutigeres Gesicht zu geben.