EMPLOYER BRANDING IN KRISENZEITEN

Der Satz, der hängen bleibt: „Haben wir derzeit nicht ganz andere Probleme?“

Ein Satz, der nicht aus Böswilligkeit fiel. Sondern aus dem Alltag vieler Führungskräfte. Der Satz stand im Raum, als es um ein Weiterbildungskonzept zur Mitarbeiterbindung ging – und fiel, noch bevor der Gedanke richtig zu Ende formuliert war. Kein Raum für Diskussion, kein „Lass uns mal drüber nachdenken“. Sondern: Umsatz zuerst. Punkt. Das kann man niemandem übelnehmen. Denn die wirtschaftliche Lage ist real. Aufträge stocken. Kunden warten ab. Der Vertrieb fährt mit halber Kraft, während gleichzeitig alle Prozesse durchleuchtet und Budgets gestutzt werden. Die Stimmung: angespannt.

Aber genau das ist der gefährliche Moment. Weil Entscheidungen jetzt häufig reflexhaft getroffen werden. Weil man sich auf das fokussiert, was lichterloh brennt. Und dabei übersieht, was leise schwelend schon den Boden unter den Füßen verkohlt hat. Kurz: Wer jetzt rein operativ agiert, lässt strategisches Potenzial liegen. Und das fällt einem später – in der Rückschau – meist teuer auf die Füße.

Es brennt an allen Ecken – aber wo genau?

Viele Unternehmen erleben derzeit ein Paradox: die Umsätze brechen ein, aber die Belastung steigt. Man muss mehr leisten mit weniger Ressourcen. Mehr liefern mit weniger Klarheit. Und das auf einem Markt, der immer unvorhersehbarer wird. Doch neben den externen Druckpunkten gibt es noch ein anderes, oft unterschätztes Risiko: das Klima im eigenen Haus. Wenn Unsicherheit nach innen durchsickert, entstehen Lücken. Vertrauenslücken. Kommunikationslücken. Führungslücken.

Mitarbeitende stellen Fragen:

– Wie geht es hier weiter?
– Gibt es für mich überhaupt noch eine Perspektive?
– Was ist mein Platz in diesem Unternehmen – in sechs Monaten, in zwei Jahren?

Diese Fragen sind kein Luxus. Sie sind Ausdruck eines menschlichen Bedürfnisses nach Sicherheit und Orientierung. Und wenn Unternehmen hier nicht antworten, tun es andere – mit verlockenden Angeboten, klareren Versprechen, schnellerem Tempo. Gleichzeitig greifen viele Führungskräfte zur vermeintlich einfachsten Lösung: Geld.

Eine Gehaltserhöhung als Zeichen der Wertschätzung. Ein Bonus zur Motivation. Eine kleine Prämie, damit die Stimmung nicht kippt. Das ist gut gemeint. Und kurzfristig auch wirkungsvoll. Aber: Geld wirkt wie ein Schmerzmittel. Es lindert Symptome. Es löst keine Ursachen.

Der Mythos des Geldes als Allheilmittel

Geld motiviert, aber es begeistert nicht. Geld belohnt, aber es inspiriert nicht. Geld kann Wertschätzung ausdrücken, aber es ersetzt keine Haltung. In einem Arbeitsmarkt, der sich zugunsten der Arbeitnehmenden verschoben hat, ist Geld immer nur ein Hygienefaktor. Ein Must-have. Aber kein Differenzierungsmerkmal. Wenn jemand mit einem Klick einen besser bezahlten Job findet… warum sollte er oder sie bleiben? Die Antwort liegt selten in der Lohnabrechnung. Sondern in dem, was zwischen den Zeilen passiert:

  1. Wenn jemand Verantwortung übernehmen darf; nicht trotz, sondern wegen seines Alters oder seiner bisherigen Rolle.
  2. Wenn Lernen im Alltag möglich ist; ohne große Programme, sondern durch Projekte, neue Aufgaben, Austausch.
  3. Wenn Führungskräfte nicht nur Vorgaben machen, sondern Rahmen schaffen. Und ehrlich interessiert zuhören.
  4. Wenn man im Flur, im Call, im Arbeitsalltag spürt: Wir stehen für etwas. Und das ist mehr als Effizienz.

Echte Bindung entsteht durch Relevanz. Und Relevanz entsteht durch Substanz. Nicht durch Zahlen.

Employer Branding – kein Schönwetter-Tool

Viele Unternehmen ordnen Employer Branding oft falsch ein und betrachten es eindimensional: als Kampagne, als HR-Marketing, als Recruiting-Maßnahme. Dabei ist es viel grundlegender. Es ist der bewusste Umgang mit der eigenen Identität als Arbeitgeber und mit der Frage, wie man wahrgenommen werden will. Und tatsächlich wahrgenommen wird.

Gerade in Krisenzeiten zeigt sich, was davon wirklich trägt. Denn Employer Branding ist nicht das Sahnehäubchen, das man sich gönnt, wenn alles rund läuft. Es ist der Grund, warum manche Unternehmen Krisen überstehen… und andere daran zerfallen.

  1. Wer jetzt Haltung zeigt, gewinnt Vertrauen.
  2. Wer jetzt ehrlich kommuniziert, gewinnt Glaubwürdigkeit.
  3. Und wer jetzt gezielt in seine Arbeitgebermarke investiert, schafft ein tragfähiges Gerüst – für den nächsten Aufschwung und für die nächste Krise.

Employer Branding ist Krisenmanagement mit Weitblick. Und gleichzeitig Investition in die Resilienz der Organisation.

Strategielücke = Wettbewerbsnachteil

Viele Unternehmen kennen ihre Produkte in- und auswendig. Ihre Zielgruppen, ihre Marktposition, ihre Preispunkte. Aber wenn es um ihre Rolle als Arbeitgeber geht, wird es schnell dünn. Arbeitgeber müssen sich die folgenden Fragen gewissenhaft stellen:

  1. Was unterscheidet Euch von anderen Arbeitgebern?
  2. Was können Eure Leute bei Euch lernen, was sie woanders nicht bekommen?
  3. Was macht Euer Miteinander besonders – oder wenigstens konkret erlebbar?

Diese Fragen sind kein Selbstzweck. Sie sind strategischer Imperativ. Denn sie entscheiden darüber, ob Menschen bleiben, Leistung bringen, mitziehen – oder innerlich kündigen, bevor sie den Arbeitsvertrag neu unterschreiben. Es geht nicht um bunte Karrierewebseiten. Es geht um Substanz. Und wer diese nicht klärt, verliert nicht nur gute Leute. Sondern auch das, was gute Leute im Unternehmen aufbauen: Know-how, Kundennähe, Innovationskraft, Teamkultur.

Fehlende Strategie kostet. Employer Branding rettet nicht über Nacht. Aber es wirkt langfristig – wie ein solides Fundament. Und das braucht man bekanntlich nicht, wenn der Sturm kommt. Sondern bevor.

DREI DINGE, DIE AUCH IN KRISENZEITEN GEHEN.

Weiterbildung light
Man muss keine großen Budgets freigeben. Oft reichen:
_Interne Wissensteams, die Lunch & Learn-Sessions gestalten.
_Jobrotation, die Perspektivwechsel erlaubt.
_Lernbudgets, mit denen Mitarbeitende selbst Verantwortung übernehmen können.
_Peer-Learning, das Teams stärkt und Hierarchien abbaut.
Echte Kommunikation
Krisenkommunikation ist keine Pressearbeit. Sie beginnt intern:
_ mit regelmäßigen Formaten, in denen offen gesprochen wird,
_ mit Updates, die nicht nur informieren, sondern auch erklären,
_ mit Führungskräften, die Unsicherheit nicht weglächeln, sondern einordnen.
Führung als Bindungsfaktor
Führung ist der entscheidende Hebel, vor allem in rauen Zeiten:
_ Klare Erwartungen, aber auch Flexibilität.
_ Haltung zeigen, auch wenn Entscheidungen unpopulär sind.
_ Entwicklung fördern, auch wenn es „eigentlich“ gerade nicht reinpasst.

Spoiler: Die nächste Krise kommt bestimmt

Diese Krise ist nicht die letzte. Und ganz ehrlich: sie ist eventuell auch nicht die schlimmste. Was kommt, lässt sich nicht exakt vorhersagen. Aber es gibt genügend Szenarien, die bereits jetzt sichtbar sind:

– der wachsende Druck durch KI und Automatisierung,
– die Transformation ganzer Branchen,
– der demografische Wandel, der sich nicht mehr wegmoderieren lässt,
– die Tatsache, dass viele Unternehmen mittelfristig den Übergang an eine neue Führungsgeneration stemmen müssen.

In all diesen Szenarien ist eines klar: Die, die heute investieren – in Menschen, in Marken, in Kultur – haben morgen einen massiven Vorteil. Nicht, weil sie alle Antworten kennen. Sondern weil sie die richtigen Fragen stellen. Und weil sie eine Belegschaft haben, die mitzieht, weil sie sich einbezogen fühlt. Eine starke Arbeitgebermarke ist kein Schutzschild gegen den Wandel. Aber sie ist ein Navigationssystem, wenn es unübersichtlich wird.

Fazit: Jetzt. Nicht später.

Es ist leicht, das Thema Mitarbeiterbindung auf später zu verschieben. Die Argumente sind vielfältig: „Wenn wieder mehr Luft ist“, „Wenn das Budget passt“ oder „Wenn der Druck nachlässt“. Aber später ist oft zu spät. Weil sich gute Leute in der Zwischenzeit verabschiedet haben, weil die Teams müde sind vom Krisenmodus, und weil Arbeitgeber dann merken: Es fehlt die Substanz, um durchzuhalten.
Deshalb ist es so wichtig, jetzt zu handeln

– Klarheit schaffen, wofür man steht.
– Kommunikation ernst nehmen, auch wenn’s schwierig ist.
– Führung stärken – nicht nur durch Tools, sondern durch Haltung.

Mitarbeiterbindung ist keine Kür, sondern sie ist Überlebensstrategie mit Perspektive. Und sie entscheidet darüber, ob ein Unternehmen in der Krise nur durchkommt oder daraus stärker hervorgeht.

Die Autorin
Antje Vogel
Prozess & Analyse
Antje ist seit über 20 Jahren Marketingexpertin und berät Unternehmen aller Art in Markenführung. Zunächst 10 Jahre im klassischen Marketing, bevor seit 2010 ihr Herz nun sehr laut für Employer Branding schlägt. Ihr Fokus: fundierte Analysen und die daraus abzuleitenden Strategien.